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Dorfrecht aktuell

Weltkulturerbe auf jeden Schreibtisch jetzt.

In München wurde von der Wirkung her Felix Somm für sozial nützliches Wirken verurteilt. Richter Hubbert begriff sich als Bitmauerschützer ohne zu begreifen, daß er nichts begriffen hatte. Denn er glaubte an seine Sachkompetenz beim Internet. Das bewies die mündliche Urteilsbe-gründung. Das Urteil wird weniger Bestand haben als das Verbot des Papstes gegen die erste europäische Enzyklopädie von Diderot und dAlembert, einer Sammlung des Wissens. Damals wie heute: sozial nützliches verboten.

Dank Internet ist immer mehr Wissen der Welt nur ein paar Mausklicks entfernt. Als positive Vision ließ John F. Kennedy Wissen messen. Der Goldberg-Report fand 1963, für alle Bücher der USA Kongreßbibliothek zusammen bräuchte man grob 10 hoch 13 Bits. Heute gibt es für soviele Nullen ein Alltagswort. ComputerBILD erklärt das Terabyte und http://www.alexa.com versucht, viel vom Internet-Inhalt zu speichern. Als "alte Version" des Netzes vor ein, zwei Jahren haben sie zwei Terabyte, derzeitiger Ausbau 8 TB. Das ist ein Datenhaufen, der acht mal so groß ist wie die Gesamtbibliothek des US-Kongresses. Und da kommt ein Amtsrichter und meint, er habe Internet begriffen und sei urteilsfähig. Er ist mental nicht mal auf dem Stand von 1993 mit damals weltweit vier - ich wiederhole: vier - WWW-Servern. Hinzu kommt die Verdoppelung des Datenverkehrs derzeit grob alle hundert Tage.

Im CCC wird über Weiterentwicklung diskutiert, über Petabytes. Uli Sieber lag viele Nullen darunter, als er den Stand von 1995 anschaulich darstellte. Der Richter fand es machbar, täglich zwanzigtausend Strafverfahrensakten auf problematische Inhalte durchzuflöhen. Der Staatsanwalt begriff, daß er sich vergaloppiert hat und plädierte auf Freispruch. Vergeblich.

Im Rückblick geht der Begriff "Index" zurück auf die Liste der Bücher, die ein Christenmensch nicht lesen sollte. Nach der Leibeigenschaft blieb die geistige Knechtschaft mit "cujus regio, ejus religio": der Fürst bestimmt, woran die Unter-tanen glauben und die Erde ist eine Scheibe. Dabei hatten bereits die alten Griechen eine Vorstellung von Planetenbahnen. Sie nutzten einfachste Hilfsmittel. Einer steckte einen Stock in den Boden, beobachtete Sonne und Schattenwurf, dachte sich etwas und schrieb es auf. Das gehört ins Internet als Weltkulturerbe. Viele Jahrhunderte später zwang der Papst Galileo zum Widerruf. Die Geschichte der Scheiterhaufen gehört auch zum Weltkulturerbe.

Doch nicht nur kirchliche Macht, auch weltliche war kulturblind. Im alten Rom wurde die Null verboten, aus Angst vor Rechenver-brechen. Denn Computerkriminalität gab es bereits auf dem römischen Marktplatz bei Wachstäfelchen mit Strichen drin. Ein bißchen ändern und schon stand da "zehn" statt "fünf". Einem ein X für ein U vormachen hieß das. Weil die klassischen Bedenkenträger noch weit schlimmere Verbrechen mit dem arabischen Zahlensystem befürchteten, wurde die Null verboten.

Das Verbot der Null war Behinderung einer sozialen Erfindung ähnlich dem Urteil gegen Somm. Statt Bildung zu fördern für die Suche nach den edelsten Bits im Netz, Ausbildung zum informationellen Trüffelschwein, werden Abermillionen investiert in Software vom Typ Dreckschwein mit dem Zweck, mehr Dreck schneller zu finden. Das kann nur schief gehen. Es wird zukünftigen Generationen eine Mahnung sein wie die platte Weltsicht von Nolte. TV Phoenix dokumentierte, daß die Kulturverbots-ministerin Sex im Internet erst ab 23 Uhr erlauben wollte. Im CCC meinte einer, es sei schlimmer. Denn das habe sie auch im Ausschuß in Bonn vertreten und dort kam die Nachfrage "23 Uhr: welche Zeitzone". Das hat sie nicht verstanden. Plattwelt kennt nur eine Zeit.

Von Bob Jungk habe ich gelernt: think positive. Zwar droht der Zensurstaat als Atomstaat des Informationszeitalters. Doch wir wissen, was wir dagegen setzen: das Weltkulturerbe auf jedem Schreibtisch, per Knopfdruck erreichbar. Das Internet ist das erste Universalmedium der Geschichte und jeder Mensch mit Netzzugang kann dort schreiben. Da müssen positive Inhalte rein. Kulturelle Bedenkenträger in Europa pennen. In den USA stehen jetzt, jetzt! die Maschinen, um die Bibliotheken ins Netz zu bringen. Bücher werden nicht mehr zerschnitten oder so: man legt den wertvollen Wälzer vorn in die Maschine, die macht aus dem Buch Bits und hinten kommt es unbeschädigt heraus.

Konservative Buchkonservatoren wurden von dieser Maschine überzeugt. Europa hat noch nicht begriffen, daß es sowas gibt. Das könnte sich ändern, wenn Jesuiten eigene e-Mail-Adresse und Webspace ab Zeitpunkt Befruchtung als Menschenrecht einsehen. Andere Regionen versorgen, deren Kultur einbringen. Full IP für alle. Glasfasern rings um Afrika. In Alexandria kommen dicke Glasfaserbündel aus der Erde. Die Wahl des Platzes war Signal. Einst zerstörten Kulturbanausen dort die wohl erste große Weltbibliothek. Wir müssen Freiheit der Kommunikation und Austausches von Wissen fördern und destruktive Kräfte genau beobachten. Das Internet ist nicht einmal im Krabbelalter. Derzeit zeigt sich ein historischer Bruch. Erst ab ca. 1995 ist "vieles" drin und vorher "wenig". Das zu ändern, ist Aufgabe der Kulturpolitik in Verbindung mit aufgeklärten Menschen. Das Weltkulturerbe im Internet erleichtert es, mit dunklen Seiten der Informationsgesellschaft - der modernen Version des "X für U" - zurecht zu kommen.

Job ist, dies Kulturträgern klar zu machen. Genau dann kommen wir mit den ewigen Nörglern klar, die es seit Erfindung des Rades gab und weiter geben wird. Das Netz entwickelt ein Stück weit Eigenintelligenz. Erste Gedanken-spuren bahnen sich zu Wegen. Derzeit schätze ich es ein im Bereich Qualle: man kann versuchen, das Internet ans Kreuz zu nageln vor Gericht als eine Art Opfer für eigenes Versagen, aber das Ding lebt einfach weiter. Es wächst weiter, wird schlauer und freier. Gute Inhalte beschleunigen das Positive. Wie einst bei Büchern.

Weil Thüringer Gelehrte Angst hatten vor zuviel Büchern durch verbesserte Drucktechnik, ging der Erfinder Koenig nach London. Die erste dampfbetriebene Druckmaschine war bei der TIMES. Soviel als "Standortargument" des Mittelalters. Erfinder Koenig wollte mehr Kultur, bezahlt hat eine Zeitung. Bei ALDI gibt es Festplatten im GB-Bereich. Bei Verdoppelung der Hardwareleistung alle 18 Monate steht in 15 Jahren das TB im Supermarkt und jeder tenden-ziell eine Großbibliothek auf dem Schreibtisch. Beschleunigen ist Zielrichtung, Bündelung der konstruktiven Kräfte der Gesellschaft. Von Druck-Erlaubnis kam es zum Jedermannrecht auf Mediendienste. Wie anders soll man eine Home-page bei Geocities oder im Königreich Tonga nennen? Der Streit zwischen Bundes- und Landesrecht ist längst entschieden, gegen beide. Wir haben Weltrecht. Heute. Und Dorfstörungen.

Wer eine Homepage baut, braucht von Netztechnik ebensowenig zu verstehen wie vom Strom beim Druck auf einen Lichtschalter. Ich erlebte, wie ein Kind einen Lichtschalter begreift. Denn vor rund 20 Jahren montierte mein Nachbar einen Kinderlichtschalter ganz weit unten. Die Tochter begann gerade zu krabbeln. Sie brauchte rund einen halben Tag zum Begreifen ihres Lichtschalters. Die Montage mußte besonders sorgfältig sein, um Betriebsrisiken durch erfinderische Kleinkinder zu minimieren. Das gehört zu den elterlichen Aufgaben: wer einen Schalter zugänglich macht, trägt auch die Verantwortung. Bedenkenträger vom Typ "Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht" hatten keine Verfügungsgewalt über die Wohnung. Sorgfalt ist heute Elternpflicht beim Umgang mit dem Internet. Auch dort gibt es rote und grüne Ampeln. An den Straßen werden die Kinder ja auch nicht in Käfigen gehalten, um Unfälle zu vermeiden, sondern auf die Risiken vorbereitet. Elternpflichten gelten im Datenverkehr wie im Straßenverkehr. Fortbildung in der Schule: Erstkläßler an die Suchmaschinen!

Wau Holland, wau@ccc.de

 

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